Zwischen Macht und Verantwortung – Ein Nachdenken über Politik im 21. Jahrhundert

today16. November 2025 42 9 5

Sonntagsgedanken

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Es ist Sonntag, der 16. November 2025. Ein Tag wie viele andere – und doch einer, der uns Gelegenheit gibt, kurz innezuhalten und über etwas nachzudenken, das unseren Alltag mehr bestimmt, als wir manchmal wahrhaben wollen: Politik. Nicht die Politik der Schlagzeilen, nicht die Empörung des Tages, sondern das tiefere Verständnis davon, was es eigentlich bedeutet, gemeinsam Gesellschaft zu gestalten. Denn Politik ist, wenn man es genau nimmt, nichts anderes als der Versuch, das Zusammenleben vieler unterschiedlicher Menschen auf begrenztem Raum zu organisieren. Eine Kunst, die nie perfekt gelingt – und gerade deshalb immer wieder neu geübt werden muss.

Wenn wir heute über Politik sprechen, schwingt oft eine gewisse Müdigkeit mit. Zu viele Skandale, zu viele Versprechen, die gebrochen wurden, zu viele Debatten, die mehr Lärm als Lösung bringen. Man hört Menschen sagen: „Ich interessiere mich nicht mehr für Politik.“ Doch genau darin liegt das Problem. Politik verschwindet nicht, nur weil wir uns von ihr abwenden. Sie geschieht trotzdem – nur dann eben ohne uns. Und wenn wir nicht mitreden, entscheiden andere über uns. Das ist vielleicht der gefährlichste Punkt unserer Zeit: die Versuchung, sich zurückzulehnen, weil man das Gefühl hat, ohnehin nichts verändern zu können.

Aber Demokratie lebt vom Gegenteil. Sie lebt von Beteiligung, vom Mitdenken, vom Widerspruch, vom Gespräch. Sie lebt davon, dass Menschen nicht nur Zuschauer sind, sondern Mitwirkende. Dass sie wählen gehen, aber auch zwischen den Wahlen Verantwortung übernehmen – im Alltag, im Gespräch, in kleinen und großen Entscheidungen. Demokratie ist kein Zustand, sie ist eine Haltung. Und diese Haltung entsteht nicht von selbst. Sie muss gelernt, gepflegt und verteidigt werden.

Schauen wir auf die politische Kultur unserer Gegenwart: Wir erleben ein paradoxes Zeitalter. Noch nie war Information so leicht zugänglich, noch nie konnten Menschen so schnell an Debatten teilnehmen – und doch war selten die Verwirrung so groß. Algorithmen bestimmen, was wir sehen, Filterblasen bestätigen, was wir ohnehin glauben, und das Vertrauen in Institutionen schwindet. Aus Diskussionen werden Konfrontationen, aus Meinungsverschiedenheiten Feindbilder. Die Logik der sozialen Medien, die auf Zuspitzung und Aufmerksamkeit zielt, macht auch vor der Politik nicht halt. Sie verführt dazu, einfache Antworten zu geben, wo die Welt kompliziert ist. Doch Politik ist selten einfach. Und wer einfache Lösungen für komplexe Probleme verspricht, führt die Menschen in die Irre.

Das bedeutet nicht, dass Politik elitär oder abgehoben sein sollte. Im Gegenteil: Sie muss verständlich bleiben, ansprechbar, menschlich. Aber sie darf sich nicht an die Logik des Marktes oder der Empörung anpassen. Politik braucht Zeit, Differenzierung, Kompromiss. Drei Dinge, die in einer schnelllebigen, digitalisierten Gesellschaft schwer geworden sind. Kompromiss gilt heute vielen als Schwäche – dabei ist er das Fundament demokratischer Stärke. In einer pluralen Gesellschaft ist der Kompromiss kein Verrat an den eigenen Überzeugungen, sondern die Kunst, mit Unterschieden zu leben, ohne den anderen zu zerstören.

Wenn man Politik als Handwerk des Zusammenlebens begreift, dann gehört auch das Zuhören dazu. Und vielleicht haben wir das Zuhören verlernt. Wir hören, um zu antworten, nicht um zu verstehen. Wir warten, bis der andere fertig ist, um unseren Punkt zu setzen – nicht, um wirklich zu erfassen, was er meint. Doch ohne Verständigung gibt es keine Demokratie. Es geht also nicht darum, immer einer Meinung zu sein, sondern darum, einander als gleichberechtigte Gesprächspartner anzuerkennen, selbst wenn wir unterschiedlicher Ansicht bleiben.

Ein weiterer Punkt, über den man nachdenken sollte, ist die Beziehung zwischen Macht und Vertrauen. Macht ist an sich nichts Böses. Sie ist notwendig, um Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen. Aber Macht, die sich selbst genügt, wird gefährlich. In Demokratien ist Macht immer geliehen – von den Bürgerinnen und Bürgern. Wer sie ausübt, sollte sich dessen bewusst sein. Und wer sie verleiht, also wählt, sollte es ebenso sein. Vertrauen ist kein Blankoscheck. Es ist ein Vorschuss, der erneuert werden muss – durch Transparenz, durch Ehrlichkeit, durch Ergebnisse.

Doch auch jenseits von Ideologien stellt sich die Frage: Was erwarten wir eigentlich von Politik? Viele hoffen auf schnelle Lösungen – und übersehen dabei, dass politische Veränderung Zeit braucht. Strukturen ändern sich langsamer als Stimmungen. Ein Gesetz ist schnell beschlossen, aber seine Wirkung entfaltet sich erst über Jahre. Politik ist, in diesem Sinn, immer ein Langstreckenlauf. Doch in Zeiten, in denen Aufmerksamkeit in Sekunden gemessen wird, verliert Langfristigkeit an Attraktivität. Vielleicht müssen wir wieder lernen, Geduld als politische Tugend zu begreifen.

Und dann ist da noch die Rolle jedes Einzelnen. Es ist leicht, „die da oben“ zu kritisieren – und manchmal auch berechtigt. Aber Demokratie ist kein Zuschauer­spiel. Wenn wir Freiheit, Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit wollen, beginnt das nicht im Parlament, sondern im Alltag. In der Art, wie wir miteinander reden, wie wir Verantwortung übernehmen, wie wir Macht hinterfragen. Politik fängt nicht mit Gesetzen an, sondern mit Haltung. Mit dem Bewusstsein, dass jede Entscheidung – auch die private – eine politische Dimension hat. Ob wir wählen gehen, was wir konsumieren, wie wir über andere sprechen: All das formt das Klima, in dem Politik entsteht.

Vielleicht ist das die zentrale Herausforderung unserer Zeit: wieder spüren zu lernen, dass Politik uns alle betrifft. Dass sie nicht fern ist, sondern mitten in unserem Leben. Und dass Demokratie kein Selbstläufer ist. Sie lebt von Menschen, die sie ernst nehmen – und die bereit sind, sie zu verteidigen, wenn sie bedroht ist. Nicht laut, nicht heroisch, sondern im täglichen Tun.

Darum, ganz gleich, wie zäh, widersprüchlich oder anstrengend politische Debatten auch sein mögen – sie sind ein Zeichen von Lebendigkeit. Eine Gesellschaft, die streitet, lebt. Eine Gesellschaft, die aufhört zu streiten, verliert. In diesem Sinne ist Politik nicht nur die Kunst des Regierens, sondern auch die Kunst des gemeinsamen Zweifelns, Suchens, Diskutierens. Und vielleicht ist das das Schönste an ihr: dass sie uns zwingt, miteinander in Kontakt zu bleiben – auch wenn wir uns nicht einig sind.

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